Wenn ein Kriterium des Erfolges der Avantgarde die tatsächliche Durchsetzung bestimmter Formprinzipien in der visuellen Kultur insgesamt ist, dann dürfte der Found-Footage-Film eine ihrer erfolgreichsten Varianten sein. Namentlich im Videoclip, in der Kopfcollage der Zapper und neuerlich im Mash-Up werden die ästhetischen Strategien der ehemalig elitären Experimentalfilme universelle kulturelle Praxen. Doch sollte hier Vorsicht geboten sein, denn das Äußere formaler Innovationen verliert oft genug ihre ursprungliche künstlerische Intention in seiner populären Verbreitung. So muss hier die Frage gestellt werden, inwieweit Avantgarde hier nicht auch schlichter Indikator, vielleicht auch Motor gesellschaftlicher Verhältnisse ist?
Vergegenwärtige man sich den Wortsinn des Begriffes der Avantgarde: Den Found-Footage-Film als experimentelles Kino kann man kaum als Vorhut einer zukünftigen Kinematographie, mehr noch der digitalen Bildwelten unserer Tage bezeichnen, thematisiert er sein mediales Material doch immer erst im Nachhinein und in einem melancholischen Modus. Er ist vielmehr Nachhut in einem sehr essentiellen Sinn, denn er entwickelt seine Bedeutung auf der Grundlage der Formen und Inhalte, der Erzählungen des herkömmlichen Kinos, heute der Breite der bewegten Bilderwelten, deren Verankerung im kollektiven Bewusstsein der Rezipienten Voraussetzung seiner Poetik ist. Es stellt keine grundlegend anderen, neuen Formen und Inhalte als das Mainstream- Kino, die Bilder aus dem Fernsehalltag etc. zur Schau, sondern kann die Inhalte der kollektiven Mythologien derselben offen legen und die sensitive Erregung des individuellen Zuschauers steigern. Neu ist allein seine ars combinatoria. Es ist also ein Film danach sui generis. Moderne ist in diesem Sinne nicht die Dekonstruktion der Techniken der Erzählung der kollektiven Bildwelten, sondern deren Transformation, manchmal Feier.
Found-Footage-Filme bleiben also ambivalent. Ihre Kunst schwankt zwischen lyrischer Intensität und einer Prophetie der Beliebigkeit. Umso sinnvoller scheint es, diesen ästhetischen Nukleus gegenwärtiger Medienpraxen einer historisch-systematischen Analyse zu unterziehen und Nähe und Distanz zum Alltag aktueller Medien zu skizzieren. Das Symposion will anhand der klassischen Found-Footage-Filme zwischen den älteren Arbeiten eines Bruce Conner, Joseph Cornell oder Ken Jacobs einerseits und aktuelleren wie denen eines Peter Tscherkasskys, Peter Delpeut oder Matthias Müller anderseits eine idealatypische Systematik dieses experimentellen ›Genres‹ entwickeln. William C. Wees hat hier erste Vorschläge vorgelegt: er unterscheidet Definition zwischen Kompilation, Collage und Appropriation. Immanent sieht er den medienreflexiven Umgang mit dem vorgefundenen Material als das auszeichnende Kriterium des Found-Footage als Kunst, aber mindestens der Eigenwert einer Potenzierung der immanenten Poesie des – so Delpeut – ›lyrischen Nitrats‹. Und zuletzt ist die Frage nach dem Verhältnis des Materials als Bedeutungsträger und seiner radikalen Demantisierung zur Abstraktion zu diskutieren. Diese historisch-systematische Perspektive soll wiederum in den breiteren Rahmen der kunsthistorischen Vorläufer namentlich der Collage, dem verbreiteteren Kompilationsfilm und den Phänomen der Mash-Up unserer Tage eingebettet werden.
Interdisziplinäres Symposion des
Forums /IKDM der Muthesius Kunsthochschule, Kiel
konzipiert von Norbert M. Schmitz
Vom 15. – 17. Januar 2015 im Kesselhaus