Draußen ist es dunkel. Drinnen schimmert kalt das antiquierte OP-Licht. Leise klirren die Kristallgläser, als der Servierwagen auf die Bühne geschoben wird. Im Studio der Raumstrategien riecht es nach Farbe. „Ich hab‘ noch eine Frage…“, sagt jemand im Bademantel. „Bauen wir jetzt das Essen vor der Leiche auf?“ Greta Weber wirft ein Bettlaken zur Seite. „Ja, das Essen wird genau hier stehen. Das ist ja der Witz“, sagt sie. In der Hand hält sie einen Haufen Zettel, der neben viel Text etliche handschriftliche Notizen enthält. Es ist das Skript von Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“. Greta Weber führt Regie bei dem Stück. Es ist die inzwischen vierte Inszenierung des im Sommer 2022 an der Muthesius Kunsthochschule gegründeten Mutheaters, für das die 12 Darstellerinnen und Darsteller an diesem Abend fleißig proben. Denn von Dienstag, 10., bis Donnerstag, 12. Oktober, wird es täglich in Kiel aufgeführt.
Das Mutheater ist weder Seminar eines Studiengangs noch von Lehrenden betreut. Es ist ein loser Zusammenschluss von Studierenden und solchen, die es mal waren. „Wir arbeiten bei dieser Produktion wieder mit Livemusik“, erklärt Greta Weber. Auf dem Boden sitzt Marcel Mach an einem Laptop und spielt die Töne und Melodien ein. „Und zur Aufführung gehen wir auf die große Bühne: Diesmal spielen wir nicht im Kesselhaus der Kunsthochschule, sondern auf der Niederdeutschen Bühne am Wilhelmsplatz.“
Die Gruppe hat sich „Die Physiker“ ausgesucht: jenen in den 1960er Jahren entstandenen Komödien-Krimi, in dem es um die Verantwortung der Wissenschaft geht. In einem Sanatorium – das Jane Genzken, Katinka Theuerkauf und Marie Borgerding mit pfefferminzgrünen Holzwänden und roten Elementen gestaltet haben – sitzen drei Physiker in Schlafanzug, Bademantel und weißen Stoffpuschen. Einer von ihnen hütet die Weltformel. Nach und nach werden die Pflegerinnen umgebracht, weil die Ideen der Physiker zu gefährlich wurden. Die Größenwahn-Groteske ist ein Dauerbrenner auf deutschen Theaterbühnen.
Wieso die Wahl ausgerechnet auf „Die Physiker“ gefallen ist? „Die Physiker sind die richtige Mischung aus Extravaganz, Witz und ernsten Momenten“, erklärt Regisseurin Greta Weber. Das Stück erfüllt nicht nur drei praktische Anforderungen, indem es genug Rollen bereithält, bezahlbar und erhältlich ist. Sondern hat die Gruppe darüber hinaus auch begeistert, was „den Dürrenmattschen Sprachwitz und die schillernden Figuren angeht. Wobei es eben nicht bloß eine Komödie ist, sondern eher in Richtung Groteske und Tragikomödie geht.“ Stark modernisiert worden ist es nicht. „Ich bin dieses Mal sehr nah am Text geblieben, um Duktus und Witz nicht zu verlieren. Natürlich muss es ein paar Anpassungen geben. Dazu gehört zuallererst das Streichen von diskriminierender Sprache. Durch ein, zwei Textdreher haben wir die Rolle der Frau Doktor etwas präzisiert und auch die Geschichte der Physiker abgerundet“, sagt Greta Weber.
Im Juni hat die Gruppe mit ersten Leseproben begonnen, seit Anfang August wird regelmäßig geprobt. Auf den Wechsel auf die richtige Theaterbühne freut sich die Gruppe schon. Bis zur Aufführung werden noch die letzten Fragen geklärt: Wo genau wird der Plastikvorhang durchgeschnitten? Wie hoch darf der Servierwagen sein? Und in welcher Flasche ist nun eigentlich der echte Kirschlikör?
- Die Aufführungen sind zu sehen am Dienstag, 10., Mittwoch, 11., und Donnerstag, 12. Oktober, um jeweils 19 Uhr auf der Niederdeutschen Bühne, Wilhelmsplatz in Kiel. Die Premiere ist bereits ausverkauft, für die übrigen Veranstaltungen gibt es noch Tickets. Sie kosten 10 Euro, ermäßigt 5 Euro.
Mit Joscha Brüning, Sebastian Glaß, Ida Burkhardt, Karen Mathieu, Tilman Matzen, Stella Krohn, Lina Künzel, Nicolai Roscher, Paul Voigt, Svea Willhöft, Qiaoyi Dai.
Musik von Marcel Mach.
Kostüm: Kalina Krutisch, Lina Künzel, Hannah Stühr.
Maske: Marie Borgerding
Bühne: Jane Genzken, Katinka Theuerkauf, Marie Borgerding
Regie: Greta Weber
[Fotos: Julia Marre]