
Eine Veranstaltung des Forums /Instituts für Kunst-, Design- und Medienwissenschaften, konzipiert von Petra Maria Meyer und Felix Schackert.
Kräfte einfangen und zur Wirkung bringen. Zu energetischen Konzepten in den Künsten.
Vom 16. 01.2020, 15 Uhr, bis 18.01.2020
„Denn es gibt eine Gemeinschaft der Künste, ein gemeinsames Problem. In der Kunst und in der Malerei wie in der Musik geht es nicht um Reproduktion oder Erfindung von Formen, sondern um das Einfangen von Kräften.“ Gilles Deleuze
„Kraft“, ein Zentralbegriff der Philosophie von Platon über Nietzsche bis Deleuze, ist auch „ein gemeinsames Problem“ in den Künsten. Zusammen mit dem Begriff der „Energie“ wurden diese Schlüsselbegriffe der Moderne im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu Leitbegriffen neuer ästhetischer Ausrichtungen. Wo immer es in den Künsten nicht mehr um Abbildung, Reproduktion oder Repräsentation geht, sondern vielmehr darum, das Blatt Papier, die Leinwand, den Hörraum oder einen theatralen, filmischen und intermedialen Raum mit Kräften zu bevölkern, da werden zunehmend energetische Konzepte entwickelt.
Da der Begriff heute häufig metaphorisch vage benutzt und gerne auch esoterisch jeder Überprüfung entzogen wird, erscheint eine theoriegeleitete Klärung umso wichtiger. Auf diesem Wege gilt es Möglichkeiten zu suchen, Erregungen, Empfindungen und Eindrücke, die durch energetische Konzepte bewirkt werden, begründet zu versprachlichen und analytisch nutzbar zu machen. Verschiedene Disziplinen bieten sich dazu an. In der Philosophie ist der Begriff ebenso grundlegend wie in der Kunstgeschichte. Während das lange in den Kunsttheorien vernachlässigte Thema in jüngster Zeit bereits kunsthistorisch und theaterwissenschaftlich aufgearbeitet wurde, bleiben die philosophischen Diskurse jedoch immer noch zu wenig berücksichtigt. Die Kieler Zusammenkunft widmet sich insofern verschiedenen philosophischen Zugangsweisen.
ἐνέργεια (Wirkung, Kraft, ‚Tätigkeit‘) hat in dieser Disziplin seit der griechischen Antike eine Zentralstellung. Für Aristoteles ist jedes Werden ein Übergang von dynamis (Potenz) zu energeia (Akt). Philosophisch wird somit ein bewegender Akt mit dem Begriff verbunden. Schaffenskräfte finden hier ihre Voraussetzung. Immer wieder wird der Begriff der „Energie“ zudem mit dem Begriff der „Kraft“ verbunden. Schon Friedrich Nietzsches Reflexionen zu aktiven und reaktiven Kräften, zum Aktiv-werden reaktiver Kräfte und Reaktiv-werden aktiver Kräfte verdeutlichen das Potenzial der Fragestellung auch nach gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kräfteverhältnissen.
Im Vordergrund stehen zugleich die Künste und das, was ihre Materialien und Medien von der „Energie“ wissen, denn immaterielle Entitäten wie Energie hinterlassen ihre Spuren an Materialien wie am menschlichen Körper. Wenn Nietzsche den Körper als „Machteinheit“ in ihm herrschender Kräfte bezeichnet, dann weist er sowohl Paul Valéry den Weg, ein „Energiedrama“ des Körpers zu denken als auch Roland Barthes, der das Imaginäre als „rauschhafte Energie“ versteht. Bei anderen Philosophen sind es Überlegungen zur Kraft der Farben, der Klänge und Geräusche, zu einer anderen „Logik der Sensation“ (Deleuze) oder einer Energie der Spuren (Derrida). Diese und weitere Überlegungen bieten adäquate, aber verstreute philosophische Grundlagen für eine energetische Ästhetik, die es auf dem Symposion zusammenzutragen gilt.
Die Forschung hat die Zentralstellung der Kräfte und des Energetischen keinesfalls übersehen. Wegweisend sind frühere Studien von Christoph Asendorf zu „Batterien der Lebenskraft“ (1984) oder „Strömen und Strahlen“ (1989) sowie von Christoph Menke zur „Kraft“ als „Grundbegriff ästhetischer Anthropologie“ (2008). Die Theater- und Tanzwissenschaften haben sich überaus verdienstvoll der Thematik angenommen. Der von Barbara Gronau 2010 herausgegebene Symposionband „Szenarien der Energie. Zur Ästhetik und Wissenschaft des Immateriellen“ leistet wichtige Begriffsklärungen und ist in diesem Zusammenhang besonders beachtenswert. Am Leitfaden der zentralen These der Berliner Forschung „Energie ist ein szenisches Phänomen“ war der Fokus auf die Analyse „theatraler Anordnungen“ gerichtet. In Nachfolge dieser Ausrichtung ist auch ein DFG-Forschungsprojekt als transdizipliäre Forschung zwischen Theater- und Tanzwissenschaft entstanden. Das von Sabine Huschka geleitete Projekt „Transgressionen. Energetisierung von Körper und Szene: Das Spiel mit Kräften.“ (08/2015 – 02/2020) ist durch den Fokus auf ästhetische Strategien ebenso hilfreich wie theaterwissenschaftliche Studien, da sich theatrale und choreographische Praktiken künste- und medienübergreifend auswirken.
Die Zusammenkunft der Muthesius Kunsthochschule strebt allerdings einen philosophischen, die Künste übergreifenden Zugang mit der anderen These an, dass das „Einfangen von Kräften“ eine Gemeinsamkeit aller Künste ist und Malerei oder Photographie je unterschiedliche Organisationsformen der Energien entwickeln, für die Ausdrucksimpulse aus ganz unterschiedlichen Erfahrungen gewonnen werden. Ohne Theater, Tanz und Performance Art ausklammern zu wollen, wird der Fokus in Kiel auf ein weiteres Feld der Künste und philosophischer Theoriebildungen gerichtet.
Die historische Tragfähigkeit von Konzepten der Kraft und der Energie zu erproben, hatte sich jüngst auch ein Hamburger Symposion zur Aufgabe gemacht. An die historisch breite, epochenübergreifende Studie „Kraft, Intensität, Energie. Zur Dynamik der Kunst“, die von Frank Fehrenbach, Robert Felfe und Karin Leonhard 2018 herausgegeben wurde, kann somit ebenfalls angeknüpft werden. Das Kieler Symposion beschränkt sich dabei jedoch auf die ästhetische Wende um 1900 und ausgewählte Konzepte des 20. und 21. Jahrhunderts.
Da sich eng verbunden mit medientechnischen Wandlungsprozessen auch die Nutzung des Energetischen wandelt, sind medienwissenschaftliche Fragen ebenso einzubeziehen wie medizinische. Der Körper als Urmedium (von Aristoteles über Bergson bis Merleau-Ponty) in der Philosophie bedacht, lässt sich nicht nur organologisch, sondern auch energetisch verstehen. Eine Einbeziehung chinesischer Medizin und Sinologie soll gleichsam dazu verhelfen, das bislang in den Studien auf die europäisch-westliche Perspektive beschränkte Denkfeld, zu erweitern. Es gilt, den eurozentrischen Blick zu relativieren und Verstehenszugänge auch zu den zahlreichen energetischen Konzepten in den Künsten des 20. Jahrhunderts zu erleichtern, die von ostasiatischer Ästhetik beeinflusst sind.
Zu diesem Zweck laden das Forum/IKDM der Muthesius Kunsthochschule VertreterInnnen aus verschiedenen künstlerischen und wissenschaftlichen Bereichen dazu ein, energetische Konzepte zu diskutieren und mit konkreten Beispielen zu versinnlichen.
(Petra Maria Meyer)
Zum Programm: Programm Interdisziplinäres Symposion
Achtung: Die Vorträge von Dr. Gabriel Stux und Dr. Sabine Huschka fallen leider wegen Krankheit aus.