Zum Wintersemester 2023/2024 erhält das Künstlerinnenkollektiv FORT die Professur für Bildhauerei (Skulptur/ Installation/ Raumkonzeption) im Studiengang Freie Kunst der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Das 2008 gegründete Künstlerinnenkollektiv besteht aus Jenny Kropp und Alberta Niemann. Sie folgen auf Elisabeth Wagner, die seit 1996 als Professorin im Studiengang Freie Kunst tätig war. Zwei weitere personelle Veränderungen gibt zum Wintersemester: Aleen Solari vertritt die Professur für Malerei, die zuvor Antje Majewski innehatte. Frauke Gerstenberg ist neu als Professorin im Studiengang Raumstrategien berufen worden. Im Interview sprechen Jenny Kropp und Alberta Niemann über die Besonderheit, als Kollektiv die Professur für Bildhauerei zu übernehmen.
Frau Niemann, Frau Kropp: Sie beide übernehmen zum Wintersemester die Professur für Bildhauerei an der Muthesius Kunsthochschule – als Künstlerinnenkollektiv. Eine Konstellation, die nicht ganz alltäglich ist – wie wird die praktische Aufteilung dieser Doppelspitze aussehen?
Jenny Kropp: „Wir arbeiten seit über 16 Jahren zusammen und haben uns gemeinsam als Künstlerinnenduo auf die Professur für Bildhauerei beworben. Wir werden also vor allem gemeinsam, aber auch allein an der Hochschule präsent sein. Die Tendenz, sich zu vernetzen hat sich in den letzten Jahren verstärkt, immer mehr Künstler*innen, aber auch Menschen aus anderen Bereichen finden sich zu kollektiven und kollaborativen Arbeitsprozessen zusammen. Da ist es nur eine logische Konsequenz, dass sich diese Entwicklung auch an den Kunsthochschulen abbildet und zum Beispiel in der Besetzung der Professuren widerspiegelt, aber auch im Austausch der Klassen und Kolleg*innen untereinander. Die Fachklassen sollen natürlich ihre Kernkompetenzen behalten und auch eine bestimmte Intimität muss sich entfalten können, dennoch sollten die Türen im übertragenen Sinn offenstehen. Das muss aber nicht bedeuten, dass jeder in unserer Klasse sich zukünftig mit anderen zusammentun muss.“
Was ist Ihnen Beiden in der Professur für Bildhauerei wichtig?
Alberta Niemann: „Kunst ist vor allem eine Kommunikationsform, um mit sich selber und der Welt in Kontakt zu treten. Uns ist wichtig, eine gewisse Lebendigkeit in der Klasse zu schaffen, ein gutes Klima, das einen Austausch ermöglicht, der die Studierenden weiterbringt. Es geht darum, dass sie ihr eigenes Tun begreifen, den eigenen Kunstbegriff ausloten und sich auf ihren individuellen Weg begeben. Die Hochschule ist eine Forschungsstätte und es ist wichtig, sich permanent auszuprobieren, nur dadurch kann man etwas über sich und seine Kunst rausfinden. Man muss sich immer wieder auf die Suche begeben, das ist ein Zustand, der nie endet, auch nach dem Studium nicht. Nur hat man dafür nie mehr so intensiv Zeit und das sollte man ausnutzen.
Jenny Kropp: „Es ist uns aber auch wichtig, über den Tellerrand zu schauen, politische, soziale und kulturelle Phänomene zu betrachten und zu reflektieren. Wir werden also neben Kunst noch viele andere Dinge mit den Studierenden betrachten, Filme schauen, Konzerte besuchen, uns auf Reisen begeben und abwegiges unternehmen.“
Wie definieren Sie Bildhauerei heute? Und welchen Wandel haben Sie vielleicht bereits seit Ihrem eigenen Studium beobachten können?
Jenny Kropp: „Bildhauerei ist in der zeitgenössischen Kunst mittlerweile ein sehr offener Begriff, die Grenzen zu anderen Disziplinen so durchlässig, dass die traditionelle Bezeichnung geradezu anachronistisch wirkt. Der Untertitel „Skulptur / Installation / Raumkonzeption“ der Bildhauereiklasse an der Muthesius Kunsthochschule ist da schon präziser. Es geht in der Bildhauerei um eine raumbezogene Praxis, in der sowohl skulpturale als auch konzeptionelle oder performative Ansätze verfolgt werden können. Dazu hat sich durch Virtual Reality auch das Verständnis von Raum und damit der Bildhauerbegriff erweitert. In meinem Studium hat das noch keine so große Rolle gespielt, aber schon damals waren die Übergänge in anderen Medien fließend.“
Was möchten Sie Ihren Studierenden mitgeben?
Alberta Niemann: „Die Kunst muss zur eigenen, persönlichen Sprache werden. Und es ist wichtig, dass sich die Studierenden eine Art Struktur erarbeiten und ein Netzwerk aufbauen, das sich ständig erweitert und auf das man immer wieder zurückgreifen kann. Wir wollen auch vermitteln, wie man sich selber Ausstellungsprojekte organisiert und umsetzt, denn gerade nach dem Studium stehen nicht zwangsläufig alle Türen offen und man muss aus eigener Kraft Dinge anstoßen, um eine Sichtbarkeit zu erzeugen.“
Mit Blick auf Ihre neue Aufgabe im Studiengang Freie Kunst: Worauf freuen Sie sich besonders?
Alberta Niemann: „Auf die Studierenden natürlich! Auf die unterschiedlichen Charaktere und Gedanken, die uns begegnen, die Wege und Entwicklungen, die sie einschlagen und auf denen wir sie ein Stück begleiten werden. Wir freuen uns aber auch auf den Austausch mit unseren Kolleg*innen und die Hochschule gemeinsam mitzugestalten. Vor allem aber freuen wir uns auf die Kunst, die wir zu sehen bekommen!“
Jenny Kropp: „Wir sind auch gespannt, mit der Klasse neue Projekte zu entwickeln und in den Stadtraum zu gehen, um Hotels, Kneipen, Wohnungen, öffentliche Plätze mit skulpturalen Interventionen zu bespielen. Diese Ausstellungspraxis außerhalb der Hochschule und des klassischen Whitecubes ist uns wichtig, da sie Studierenden jedes Mal anders die Möglichkeit gibt, über Raum nachzudenken und damit umzugehen. Orte im öffentlichen oder halböffentlichen Raum zu bespielen, erzeugt aber auch eine Lebendigkeit in der Stadt und bietet die Möglichkeit, ein anderes Publikum zu erreichen. Das finden wir gerade für eine Stadt wie Kiel besonders spannend, da es nicht so viele Orte gibt, an denen Kunst stattfindet.“
In Ihren künstlerischen Arbeiten verweisen Sie oft auf Alltägliches – inszenieren eine leere Schlecker-Filiale, rekonstruieren eine Tankstellensituation im Museum oder verwenden Elemente der Clubkultur – wieviel Alltag braucht die Kunst? Und wie viel Alltag ist womöglich zuviel?
Jenny Kropp: „Die Kunst braucht überhaupt nichts. Aber wir brauchen die Kunst. Wir brauchen Kunst, um uns auszudrücken und durch sie über die Welt nachzudenken. Wir arbeiten gern mit alltäglichen Materialien, das hat etwas Unmittelbares und ist auch gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit dem, was uns täglich umgibt, umzugehen. Es ist eine Art Suche nach dem, was die Dinge noch bedeuten können, wenn man sie in einen anderen Kontext setzt.
Alberta Niemann: „Da ist eine große Lust, auf das vermeintlich Bekannte aus anderen Perspektiven zu blicken, neue Bedeutungen zu konstruieren und dies funktioniert sehr gut mit Dingen, die jeder kennt, zu denen jeder eine Beziehung hat. Natürlich hat jede Person individuelle Assoziationen und Erinnerungen, aber da gibt es auch sowas wie ein kollektives Gedächtnis, an beides wollen wir mit unseren Arbeiten andocken.“
Sie selbst haben in Hamburg und Bremen Kunst studiert – welche Verbindungen oder Bezugspunkte haben Sie bislang zur Muthesius Kunsthochschule?
Jenny Kropp: „Ich war 2014 als Gastdozentin von unserer Vorgängerin Elisabeth Wagner in die Bildhauereiklasse eingeladen und habe sehr gute Erinnerungen an die Atmosphäre in der Klasse. Zudem kamen wir als Jurymitglieder für die Stiftung Kunstfonds über die Jahre immer wieder mit Werken von Studierenden der Muthesius Kunsthochschule in Berührung.
Alberta Niemann: „Ich habe in Hamburg studiert, in nächster Nachbarschaft zu Kiel also. Es wäre interessant, dorthin wieder Verbindungen aufzubauen und auch einen Austausch unter den Studierenden zu ermöglichen. Dasselbe ist mit Bremen denkbar.“
Zu den Personen
Das 2008 gegründete Künstlerinnenkollektiv FORT besteht aus Jenny Kropp und Alberta Niemann. Kropp, 1978 in Frankfurt/Main geboren, studierte Kunst an der Hochschule für Künste Bremen bei Jean-Francois Guiton. Niemann, geboren 1982 in Bremen, studierte an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei Andreas Slominski.
Die Arbeit von FORT wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, so erhielten sie 2012 das Karl-Schmidt-Rottluff Stipendium, 2016 den Cremer-Preis und waren von 2022 bis 2023 Preisträgerinnen von Artist in Residence Siegen, einem Künstlerinnenprogramm der Universität Siegen mit dem Museum für Gegenwartskunst Siegen.
In ihren Arbeiten inszenieren FORT alltägliche Objekte des privaten und öffentlichen Raums, die sie nachbauen oder subtil verfremden. Ihre Werke wurden in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt, darunter in der Kunsthalle Bremen, der Kestnergesellschaft Hannover, den KW Institute for Contemporary Art, Berlin und dem Museum of Contemporary Art, Taipeh.
Im Bild: Jenny Kropp (links) und Alberta Niemann sind das Künstlerinnenkollektiv FORT – seit dem Wintersemester 2023/24 sind sie Professorinnen für Bildhauerei an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Foto: Emma Adler