KI und Musik – „Autor*innenschaft im Dialog von Mensch und Maschine“
Der zunehmende Einsatz von KI in den Künsten wird besonders bezüglich der Musik emotional diskutiert. Verändert es unser Hören, wenn Klang zum iterativen Material zwischen Datenkorpus, Prompt und Output wird? Die Fragen, welchen Veränderungen der Begriff kreativer Autor*innenschaft, unterliegt, und welche Kriterien jenseits bloßer Machbarkeit gelten, wollen wir diesmal ausgehen von der musikalischen Praxis diskutieren.
Im Anschluss an eine kritische Bestandsaufnahme soll der Blick darauf gerichtet werden, wie Intuition, Handwerk und Autor*innenschaft in einer KI-basierten künstlerischen Praxis hörbar bleiben. Eingeladen sind Künstler*innen, die mit KI professionell arbeiten und Einblick in ihre Prozesse geben:
Der Klangkünstler und Komponist Nicola Hein L. entfaltet mensch-maschinelle Improvisation als ökologische Beziehung: Datenkorpora werden „kreolisiert“, Technodiversität als ästhetische Ressource begriffen, und es entsteht eine Praxis, in der Systeme nicht imitieren, sondern Gegenüber werden. Im Fokus steht, wie sich Kriterien für Qualität und Eigenart formulieren lassen, wenn Modelle mitspielen.
Der Komponist Genoël von Lilienstern zeigt am Beispiel einer Komposition von Karlheinz Stockhausen, in der die Ausführenden solistisch zu Kurzwellenradio improvisieren, wie KI in der Aufführungspraxis kompositorische Ideen aktualisieren kann. Wo technologische Mittel verloren gehen, öffnen sich Räume, die kreative Eingriffe notwendig und möglich machen.
Die Musikerin und Performance-Künstlerin Kris Kuldkepp denkt über das Gespenstische (Mark Fisher) in KI-basierter Musik nach: Wo bleiben die „Geister“ von Autor*innen, Quellen und Communities in der perfekten Auflösung einer flachen Präsenz? Ausgehend von medientheoretischen Impulsen legt der Beitrag frei, wie Machtverhältnisse in KI-Ökosystemen ästhetische Erfahrung prägen – und wie künstlerische Praxis ihnen produktiv widerstehen kann.
Programm:
Einleitung: Sven Lütgen
Sven Lütgen ist Künstler, Musiker, Audiodesigner, Herausgeber und Dozent für Sound Studies/Intermedia an der Muthesius Kunsthochschule (ZfM/RS und DLC)
Nicola L. Hein
„Kreolisierung von Datenkorpora – Erforschung von Ökosystemen durch maschinelles Lernen in der Mensch-Maschine-Improvisation”
In diesem Vortrag werde ich über meine Praxis in der Mensch-Maschine-Improvisation (Lewis) nachdenken, bei der ich Stücke geschaffen habe, die menschliche Musiker dazu veranlassten, mit KI-gestützten musikalischen Agentensystemen zu spielen. Anhand der Verwendung von Datenkorpora und der Kreolisierung (Glissant) ihres Konzepts durch die künstlerische Praxis (Chude-Sokei, Parisi) sowie des Konzepts der Technodiversität (Hui) werde ich meine Arbeit als Erforschung entstehender Ökologien (Parisi, Hörl) theoretisieren.
Nicola L. Hein ist Klangkünstler, Gitarrist, Komponist, Forscher auf dem Gebiet der Musikästhetik und Kybernetik und Professor für Klangkunst und kreative Musiktechnologie an der Hochschule für Musik Lübeck. Seine Arbeit ist geprägt von der Interaktion von Klang, Raum, Licht, Bewegung und der emergenten Dynamik ästhetischer Systeme. In seiner künstlerischen Arbeit verwendet er physische und elektronische Erweiterungen von Synthesizern und E-Gitarren, Klanginstallationen mit Motoren/Videoprojektionen/Licht, kybernetische Mensch-Maschine-Interaktion mit interaktiven KI-Musiksystemen, Augmented Reality, telematische Echtzeitkunst, ambisonische Klangprojektion, Instrumentenbau usw. Seine Werke wurden in mehr als 30 Ländern in Amerika, Afrika, Asien und Europa realisiert. Seine künstlerische Arbeit ist auf über 30 CD-, Kassetten- und Vinyl-Veröffentlichungen dokumentiert. Zusammenarbeit mit vielen international renommierten Künstlern: Max Eastly, Evan Parker, Miya Masaoka, Axel Dörner, Ute Wassermann und vielen anderen. Auftritte bei zahlreichen internationalen Festivals.
https://nicolahein.com
Kris Kuldkepp
„In Defense of the Poor Music / The Ghosts of Techfeedback“
Exposé zum Vortrag: In ihrer Abhandlung „In Defense of the Poor Image“ aus dem Jahr 2009 schreibt die Videokünstlerin Hito Steyerl: „Das schlechte Bild … ist der Geist eines Bildes … Das Bild wird aus den Tresoren der Kinos befreit … und in die digitale Ungewissheit gestoßen.“ Heute, mehr als 15 Jahre später, befinden wir uns in einer Sättigung von KI-generierten, datenbasierten Darstellungen, deren Qualität (in Bezug auf die Auflösung) immer perfekter wird und somit eine etwas flache, geisterlose Präsenz schwebender Vielfältigkeiten in digitalen Bereichen erzeugt. In Anspielung auf die gespenstische Präsenz schreibt der Medientheoretiker McKenzie Wark (2024): „Eine der Besonderheiten der Kunst in jedem Medium ist, dass sie ein Medium für Geister ist …“ und dass KI-generierte Texte zwar Geister in sich tragen, die in der Sprache verborgen sind, selbst aber keine weiteren Geister hervorbringen. Das heißt, die Autoren, deren „Moral wie ein Schatten über [der Kunst] hängt“, sind nicht mehr präsent. In meinem Vortrag möchte ich mich mit der Möglichkeit der Geisterhaftigkeit (oder Nicht-Geisterhaftigkeit) in der KI-generierten/unterstützten Musikproduktion befassen und analysieren, wie und wo sich die Geister in den Machtverhältnissen verstecken, die durch die KI-Industrie geschaffen werden.
Kris Kuldkepp ist eine experimentelle Musikerin und Performancekünstlerin. Kris‘ Arbeit untersucht die Wahrnehmung, Materialität und das Verhalten von Klang und betont dessen Resonanz in physischen Räumen. Mit einem Hintergrund in klassischer und alter Musik auf dem Kontrabass arbeitet Kris heute mit experimentellen Praktiken, die Improvisation, tiefes Zuhören und eine Fokussierung auf einzelne Klänge und Geräusche beinhalten. Die daraus resultierenden Klangwerke zeichnen sich durch das Zusammenspiel von Kontrabässen, modularen Synthesizern, Fundstücken, Feldaufnahmen und Live-Elektronik aus, die durch Live-Performances, Installationen und Musiktheaterwerke realisiert werden.
Seit 2019 arbeitet Kris eng mit der Musiktheaterregisseurin Lisa Pottstock zusammen, um innovative und zum Nachdenken anregende performative Musiktheaterstücke zu entwickeln, die sich kritisch mit zeitgenössischen politischen Diskursen auseinandersetzen. Weitere Kooperationspartner sind der experimentelle Musiker Jeff Surak, das Ensemble der Estnischen Gesellschaft für Elektronische Musik und MOLJEBKA PVLSE.
Neben seiner künstlerischen Arbeit ist Kris Teil des Kuratorenteams der Hörbar, einem Verein für experimentelle Musik in Hamburg, und hat seit September 2025 eine Stelle am Labor für Klangkunst und Kreative Musiktechnologie an der Musikhochschule Lübeck inne.
https://www.kristinkuldkepp.net
Genoël von Lilienstern
„Clustering the Waves: Stockhausens SPIRAL mit KI”
Der Komponist Genoël von Lilienstern zeigt am Beispiel einer Komposition von Karlheinz Stockhausen, in der die Ausführenden solistisch zu Kurzwellenradio improvisieren, wie KI in der Aufführungspraxis kompositorische Ideen aktualisieren kann. Wo technologische Mittel verloren gehen, öffnen sich Räume, die kreative Eingriffe notwendig und möglich machen.
Genoël von Lilienstern ist Komponist für instrumentale und elektronische Musik.
Seine Arbeiten reichen von Orchester- und Kammermusik über Musiktheater bis zu Installationen mit Robotik und Drohnen. Aufführungen u.a. in der Philharmonie de Paris, beim MARS Festival Los Angeles, beim Eclat Festival Stuttgart, Ultraschall Berlin, an der Oper Köln sowie durch das Ensemble Intercontemporain, Ensemble Contrechamps, Ensemble Modern, Mivos Quartett und das SWR Orchester. 2025 kam seine Komposition Terroir beim Fusion Festival zur Aufführung. U.a. wurde er mit Stipendien der Villa Aurora (Los Angeles), der Cité Internationale des Arts (Paris) und dem Stipendienpreis der Darmstädter Ferienkurse ausgezeichnet. Er übernahm Lehraufträge an der UdK Berlin, HfK Bremen, HfM Hanns Eisler und war Gast an Stanford, CalArts und Loyola Marymount University. 2023/24 leitete er das Studio für Elektroakustische Musik an der Akademie der Künste Berlin. Er ist Gründungsmitglied der Komponist:innengruppe ktonal für generative Kompositionstools und ist Mitglied des KI-Rats der Künste Berlin.
Der KI Salon im DLC Art Lab ist ein Raum für Diskussion, Lernen und kreatives Experimentieren im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz (KI). Er bringt Studierende, Lehrende und Gäste zusammen, um verschiedene Perspektiven zu verbinden, ethische und rechtliche Grenzen zu diskutieren und Inspiration zu schaffen. Der KI Salon ist ein lebendiger Ort, der die kreativen Möglichkeiten von KI erlebbar macht.
Anmeldung und aktuelle Informationen auf der dlc.sh Plattform: dlc.sh/lernangebot/3
Ort: Muthesius Kunsthochschule; Legienstraße 35, 24103 Kiel
Datum: Mittwoch, 19.11.2025
Zeit: 18:00 – 20:30