
Zum Sommersemester 2022 hat Andreas Greiner die Professur für Medienkunst im Studiengang Freie Kunst der Muthesius Kunsthochschule erhalten. Er tritt mit seiner Berufung die Nachfolge von Professor Arnold Dreyblatt an, der die Professur von 2009 bis 2022 innehatte. Greiner, 1979 in Aachen geboren, hat zunächst Medizin und Anatomie, später Kunst in Dresden und Berlin studiert. Neben zahlreichen internationalen und nationalen Preisen hat er 2019 in Goslar das 34. Kaiserring-Stipendium erhalten. In seinen Arbeiten untersucht Greiner die Wirkweise des Menschen auf die biologischen und atmosphärischen Vorgänge auf der Erde. Er arbeitet mit Skulpturen, Installationen, Kunst im öffentlichen Raum und verwendet in seinen Projekten ein breites Spektrum an unterschiedlichen neuen Medien, darunter Elektronenrastermikroskopie, algorithmische Bilderstellung, Künstliche Intelligenz und 3D-Druck.
Herr Greiner, Sie haben zunächst Medizin studiert. Warum sind Sie Künstler geworden?
„Schon als ich 16-17 Jahre alt war, habe ich den Entschluss gefasst, Künstler zu werden. Ich habe während der Schulzeit viel gemalt und gezeichnet, mich danach in San Francisco und Florenz während meiner Studien weitergebildet. In Florenz habe ich mich intensiv mit dem menschlichen Körper beschäftigt, habe modelliert und künstlerische Methoden des 19. Jahrhunderts gelernt. Für Studierende habe ich dort einen Kurs gegeben: „Anatomie für Künstler“ und mich selbst gefragt: Wo kann ich eine gute Anatomieausbildung machen?“
Und dadurch sind Sie zum Medizinstudium gekommen?
„Ja, genau. Das habe ich tatsächlich als eine Art Vorausbildung für meinen künstlerischen Weg betrachtet. Mir war immer klar: Irgendwann werde ich den Sprung in die zeitgenössische Kunst wagen. Doch das Medizinstudium war ein wahnsinniger Rausch, dem ich mich nicht gleich entziehen konnte. Außerdem habe ich künstlerisch einen sehr klassischen Ansatz verfolgt, der an den Kunstakademien, an denen ich mich beworben hatte, nicht auf Anhieb zur Aufnahme geführt hat.“
Im Jahr 2006 haben Sie von der Technischen Universität Dresden an die dortige Hochschule für Bildende Künste gewechselt. Später an der Universität der Künste in Berlin als Meisterschüler bei Olafur Eliasson studiert. Wie hat er Sie geprägt?
„Er war einer der bodenständigsten und zugleich visionärsten Kunstprofessor*innen, die ich bis dahin getroffen hatte. Völlig frei von Befindlichkeiten und Allüren. Und er hat meine Vorstellung von dem, was Kunst im Praktischen bedeuten kann, extrem erweitert.“
Inwiefern?
„Vorher habe ich Kunst als eine abgeschlossene Blase wahrgenommen. Olafur hat uns viel mehr an den Rand dieses Kosmos‘ geführt – an die Stelle, an der die Kunst mit der Wirklichkeit interagiert. Seitdem konnte ich fühlen und verstehen, wie weit man überhaupt künstlerisch denken kann und dass Kunst und Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen.“
Jetzt sind Sie Professor für Medienkunst an der Muthesius Kunsthochschule. Was möchten Sie Ihren Studierenden mitgeben?
„Ich halte es für sehr wichtig, dass die Studierenden zunächst sich selbst und den Puls, der sie treibt, verstehen. Dass sie eine Antwort finden auf die Frage: Wer bin ich, was macht mich aus und was ist mein Potential? Dann möchte ich, dass sie den Puls der Zeit wahrnehmen und verstehen, wie dieser Puls zustande kommt. Und dass es der Kunst nicht nur um Wiedergabe eines bestehenden Kanons geht, sondern auch um Kritikalität, um Reflexion.“
Mit Blick auf Ihre neue Aufgabe als Professor der Medienklasse: Worauf freuen Sie sich besonders?
„Ich bin tatsächlich sehr gespannt auf die eigene geistige Verjüngung. Mein Studium ist einige Jahre her, ich bin über 40. Und ich habe schon bei meinen ersten Begegnungen hier an der Kunsthochschule festgestellt, dass seither ganz schön viel passiert ist. Beispiele, die ich nennen kann, sind, dass Gendersensibilität und ökologisches Bewusstsein eine noch größere Rolle spielen und seit meiner Studienzeit vermehrt praktisch umgesetzt und gelebt werden.“
Auch die Medienwelt hat sich in den vergangenen 15 Jahren enorm gewandelt. Wie definieren Sie da Ihre Rolle als Medienkünstler – und nun als Professor für Medienkunst?
„Vieles ist als Medium geeignet, um einen künstlerischen Impetus zu transportieren. Eine Frage, die ich ganz zentral finde: Welches Medium transportiert die jeweilige künstlerische Fragestellung am besten? Es ist selten das spezifische Medium, was die Künstler*innen vorantreibt, sondern eher die Frage nach dem Menschsein. Welche Medien bilden uns in der heutigen Zeit ab? Und noch viel wichtiger ist es mir als Impulsgeber den eigenen Antrieb bei den Studierenden zu entfachen, denn nur so können sie aus sich selbst heraus wirkmächtig werden.
In Ihren künstlerischen Arbeiten befassen Sie sich mit der Entfremdung des Menschen von der Natur. Die Covid-Pandemie hingegen hat in den vergangenen zwei Jahren eine Art Rückbesinnung auf die Natur bewirkt. Würden Sie sich wünschen, dass die junge Generation einen stärkeren Fokus auf die Natur legt?
„Es gibt in meinem Verständnis gar nicht diesen Widerspruch, diesen Kontrast zwischen Mensch und Natur – er ist menschengemacht. Diese vermeintliche Rückbesinnung auf die Natur offenbart uns einen riesengroßen Irrtum: denn der Mensch ist Natur! In meinem Kunstverständnis machen die Ameise, die Fliege, ja, sogar die Pflanze hier neben uns alle Kunst. Kreativität ist eine evolutionäre Kraft und offenbart sich auch in nicht-menschlichen Lebewesen als nicht-menschliche Kunst. Kunst = Natur. Die Frage ist nur, wie wollen wir zukünftig weiter gestalten, welche Art von Natur macht uns glücklich und sichert unser Überleben?“
Welche Wünsche erwachsen aus diesem Kunstverständnis für die Muthesius Kunsthochschule, für Ihre Studierenden und für die Stadt Kiel?
„Wir Menschen haben in unserer reglementierten Welt so viele Gebrauchsanweisungen, Anleitungen und Konzeptionen, dass wir Freiräume brauchen – in Form von Kunsthochschulen. Ich würde mir wünschen – und das halte ich für sehr wichtig – dass es die Muthesius Kunsthochschule als jüngste Kunsthochschule in Deutschland schafft, sich weiterhin zu profilieren. Ähnlich wie es einst in Weimar das Bauhaus getan hat, wünsche ich mir eine fortschrittliche und ihre Zeit prägende Hochschule. Es wäre schön, wenn die Kunststudierenden hier in der Stadt durch das Mikroklima in ihren Diskursen und künstlerischen Auseinandersetzungen gefördert werden. Kiel als Tor zur Welt und gleichzeitig mit der Möglichkeit, Gäste einzuladen und somit Zeitdiskurse mitzugestalten. Jetzt ist ein spannender Moment, in dem die Muthesius Kunsthochschule so viele Professorinnen- und Professorenstellen neu besetzt. Das hat ein enormes Potenzial.“
Weitere Informationen über Andreas Greiner: https://www.andreasgreiner.com/ und https://www.instagram.com/andreas.greiner.berlin/